„Ich bin immer noch sauer!“
Ulf ist nachtragend. Das sagt er von sich selbst. Und ein spezielles Match sitzt besonders tief bei ihm. „Ich bin immer noch sauer!“, wiederholte er am Sonntag im Stadion vor Spielbeginn daher nachdrücklich. Und weil Andi nicht mitbekommen hatte, warum, und nachfragte, sagte Ulf kurz, knapp und tonlos nur ein Wort: „Derby.“
Versöhnen, schickte er gleich hinterher, könnten ihn nur drei Tore und ein Sieg heute gegen Darmstadt. Dem Vorletzten der Tabelle. Von hinten wie von vorne: Zweiter gegen Zweiter sozusagen.
Nun ja, versöhnt war Ulf nach dem Spiel – das ist wenig überraschend – freilich nicht. Gegen Ende der zweiten Halbzeit war er gar, ich möchte es fast ungehalten nennen. Nach einem recht ordentlichen Start, wie ich finde, kamen die Darmstädter genau ein Mal auf unser Tor und nach dem Kopfball-Gewirre war es irgendwie schon absehbar, dass das Leder in unserem Kasten landen würde. Bämm. Stille um mich herum. Und natürlich: Jetzt begannen die Nörgler, Sotterer, Motzer aus ihren Löchern zu kriechen und fast hatte ich den Verdacht, dass sich diese negative Aura auf die Spieler übertrug. Nein, natürlich war´s nicht schön anzuschauen, was dann folgte und mehr als ein Mal hielt ich mir verzweifelt die Augen zu.
Michael Köllners Ansage in der Halbzeit muss schon deutlich gewesen sein – unsere Elf startete jedenfalls wie schon nach dem Anpfiff gut in die Partie. Und blieb es auch. Allerdings: Für mich Nervenbündel war es echt aufreibend. Aufschreien, klatschen, singen, anfeuern, Haare raufen, Pfosten, Hände vor´s Gesicht, Torwart, Gänsehaut, Herzrasen. Oh Mann! 16 Ecken, gefühlt 80 Prozent Ballbesitz, gute Chancen – und dieses runde Ding geht einfach nicht über die Linie! Keinen Tropfen Blut hätte ich mehr gegeben!
Und dann kam das, was für mich den Fußball ausmacht, warum ich ins Stadion gehe und versuche, jedes Spiel live im Block dabei zu sein: Der Moment, wenn du spürst, dass Mannschaft und Fans sich gegenseitig mitreißen. Wenn du merkst, wie der sprichwörtliche Funke überschlägt. Wenn du dich mit der Mannschaft als Einheit fühlst. Der Moment, wenn du dir sicher bist, dass du die Kugel persönlich ins Netz schreien kannst. Wenn du die Funken der Wut der Männer auf dem Platz förmlich sprühen siehst und durch dein Geschrei weiter anstacheln kannst. Das ist Fußball. Das ist der Glubb. Dafür geh ich ins Stadion.
Natürlich bleibt dennoch ein Berg an Fragen: Warum waren der Einsatz und Wille der zweiten Halbzeit nicht schon in den ersten 45 Minuten erkennbar? Warum muss ausgerechnet ein Innenverteidiger uns aus der Torflaute schießen? Warum trifft Zrelak nicht und was um alles in der Welt ist mit Patrick Erras los? Warum trifft unsere Offensiv-Abteilung nicht – geht´s ohne Ishak tatsächlich nicht? Redet der Trainer schon seit einiger Zeit die Spiele nur schön oder gibt es echte Entwicklungen?
Der Ausgleich war mehr als verdient – und trotzdem im Grunde zu wenig. Die Dauer-Pessimisten haben wieder neue Nahrung bekommen. Mein Vater erklärte mir nachdrücklich: „Wirst sehen, der Club verschenkt den Aufstieg noch. Glaub mir, ich kenn den Verein schon länger als du.“ Was soll ich darauf sagen, er ist mir freilich in Sachen Glubb-Erfahrung um schlappe 26 Jahre voraus. Nach kurzer Diskussion mussten wir uns mal wieder eingestehen: In Sachen Glubb kommen wir auf keinen gemeinsamen Nenner. Ist schon komisch, oder? Wir lieben beiden diesen Verein, aber so unterschiedlich können trotzdem die Sichtweisen sein. Auch Ulf wird im nächsten Heimspiel wieder dabei sein. Denn so richtig lange kann auch er dem Club nie böse sein.
Und hey: Wir stehen immer noch auf Platz zwei! Wir haben alles noch in der eigenen Hand. Ich glaube nach wie vor fest an den Aufstieg.
Denn es ist so lange möglich, bis es unmöglich ist!