Engala und Deifl
Mein Dauerkarten-Nachbar Ulf ist ein Cluberer durch und durch. Von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt bedarf es mitunter nur zwei Minuten im Spiel unseres Glorreichen. Norbert und ich kennen das. Seit Jahren. Oft genug haben wir es erlebt: Ulf schwärmt vor dem Spiel vom „neuen“ Glubb, von bestimmten Spielern, von hohen Siegen. Und sitzt dann fünf oder zehn Minuten nach dem Anpfiff völlig ernüchtert und auf den Boden der Tatsachen geholt mit verschränkten Armen und starrem Blick auf dem Sitz.
Am Freitag vor der Partie gegen Erzgebirge Aue hatte Ulf nicht nur offensichtlich einen Clown gefrühstückt, sondern sich auch noch pushen lassen von einem Video, das Andi in unsere Whatsapp-Gruppe gestellt hatte: Es zeigt unsere Kurve in der Westvorstadt beim Derby, als wir nach dem grandiosen und historischen Sieg lauthals und inbrünstig „Ohhhhhhh – der FCN steigt wieder auf“ gesungen hatten.
Eine normale Unterhaltung mit Ulf war vor dem Spiel quasi nicht mehr möglich. Er hat immer nur diese Melodie vor sich hin gesungen und gesummt. Dazwischen hin und wieder etwas von einem hohen Sieg gemurmelt. Auch Andi schlug in diese Kerbe und unterstützte Ulf, indem er einen Kantersieg prophezeite.
In meinem Innern tobt in solchen Situationen immer ein Kampf. Der zwischen dem fränkischen Pessimismus-Teufelchen und dem froh gemuten Optimismus-Engelchen. Während also das „Engala“ auf der einen Schulter sitzend in mein Ohr raunte: „Recht hat er, lass deiner Vorfreude freien Lauf, sei entspannt, das wird schon!“, mahnte mich postwendend der „Deifl“ von der anderen Seite: „Wer hoch fliegt, fällt tief. Wie oft hat dich der Club schon enttäuscht? Wär´s nicht typisch Club, heute zu verlieren?“
Diesmal hatte ich mich für die fränkisch-zurückhaltende Variante des „Engala“ entschieden: vorsichtig-leise Zuversicht mit kribbelnder Vorfreude und auf Wiedergutmachung für das Hinspiel hoffend. Ulf´s Euphorie war einfach zu ansteckend.
Ulf ließ sich sogar zu den Ansage hinreißen, er würde beim Stand von 3:0 auf den Zaun klettern und singen. Das Attribut „nackig“ haben wir ihm noch untergeschoben. Ulf hat nur gelacht, geklatscht und gesungen. Bis das Zweinull fiel. Ab da dosierte er seine Anfeuerungsrufe und die Gesänge deutlich. Die Freude, als das Dreinull, fiel, war natürlich trotzdem unbändig – und wir ließen es Ulf gerne durchgehen, dass er, anstatt auf den Zaun, auf den Sitz kletterte und jubelte und auch, dass er seine Klamotten anbehielt. Was für ein Spiel, was für ein Jubel, was für eine Ausgelassenheit. Dass es dann sogar vier Tore für uns auf der Habenseite wurden, ließ das eine Gegentor (das ich im Übrigen gar nicht mitbekam…) leicht verschmerzen. „Träumst du nicht auch von Europa?“, „Wenn du mich fragst, wer Meister wird…“, „Nürnberg ist meine Stadt“ und natürlich „Ohhhhhhh – der FCN steigt wieder auf!“ schallte es aus der Nordkurve in die fränkische Nacht und die Welt hinaus und nie war es schöner, lauthals mitzusingen, mitzuklatschen und sich von der Stimmung mitreißen zu lassen.
Nach dem Spiel hatten wir alle einen Clown intus und ich war voller Adrenalin. Aber gleichzeitig war mein Kopf nicht in der Lage, das Spiel zu realisieren, zu begreifen, die Gefühle zu verarbeiten. Ulf antwortete auf jede Frage nur singend mit „Wenn du mich fragst…“ und als wir Stunden später in einer Bar in Zabo standen, zugegebenermaßen freudetrunken (dank Francesco), reichte ein Blickkontakt zwischen Andi, Klaus und mir – und wir sangen wie auf Kommando „Ohhhh – der FCN steigt wieder auf!“ Der Club kann einfach berauschend sein!
Trotzdem heißt es jetzt, einen kühlen Kopf zu bewahren. Noch 13 Spieltage sind es. Im Moment schaut es gut aus. Sagt das „Engala“. Und den „Deifl“ lassen wir jetzt einfach mal nicht zu Wort kommen!