„Und, wie geht’s dir so ohne Fußball?“ In der Frage meines Kollegen schwang ein mitleidiger Unterton mit. Er selbst kann mit dem Thema Fußball zwar wirklich rein gar nichts anfangen, aber er weiß natürlich von meiner Leidenschaft für den Sport und für den Club. Und dass die Terminplanung für meine Wochenenden während der Saison vom Spielplan der Liga abhängt. Umso mehr hat ihn meine Antwort wohl verblüfft. „Ach, eigentlich fehlt mir der Fußball gar nicht so sehr.“
Wie? Echt jetzt? Als ich den Satz ausgesprochen hatte, habe ich selbst gestutzt. Kurz überlegt. Nachgespürt. Und für richtig befunden.
Ja, es ist tatsächlich so. Die Prioritäten und Gewichtungen im Leben haben sich in den letzten sechs Wochen dramatisch verändert. Wenn ich an das letzte Heimspiel gegen Hannover 96 denke, kommt es mir vor, als sei es sechs Monate oder auch Jahre her. Damals saßen wir in trauter Ringdreher-Runde nach dem grauenvollen Match noch im Wanner zusammen, hatten – trotz des miserablen Spiels und der deprimierenden Niederlage – noch einen feuchtfröhlichen Abend. Und ahnten zum Glück nicht, dass es das letzte Mal für lange, unbestimmte Zeit sein würde, dass wir uns in dieser Runde sehen.
Als die Corona-Krise so richtig loslegte, war für mich am Schlimmsten, dass die Fußballspiele und erste Konzerte abgesagt wurden. Seit Monaten hatte ich mich so sehr auf das Parkway Drive Konzert gefreut. Unsere Planungen für diverse Auswärtsfahrten liefen auf Hochtouren. Und das sollte jetzt einfach so ausfallen? Wegen so eines blöden, unsichtbaren (mit Verlaub) Arschloch-Virus, das wie ein mexikanisches Bier heiß? Ernsthaft?
Nun, wie ernst das alles war und ist, haben wir in den letzten Wochen schmerzlich erfahren müssen. Mittlerweile wäre ich schon froh, wenn ich mal zwei oder drei Freunde gleichzeitig treffen, einen Piranha auf dem Dürerplatz genießen oder einfach mal das Haus verlassen dürfte, ohne mir einen triftigen Grund überlegen und einen Mund-Nase-Schutz anlegen zu müssen. Aber selbst das sind „Luxus-Wünsche“. Denn es geht mir gut. Eltern und Freunde sind gesund. Ich kann meiner Arbeit nachgehen, muss nicht um meine Existenz bangen, muss mich nicht um Kinder und deren Betreuung kümmern. Kann jeden Tag spazieren gehen und vor allem: laufen! Ja, das Laufen ist meine ganz persönliche „Wunderwaffe“ (man verzeihe mir das schlechte Wortspiel…). Es verstärkt Glücksgefühle, macht mich wach, wenn ich müde bin und ist meine Medizin, wenn ich traurig, enttäuscht, wütend oder frustriert bin. Obwohl – oder vielleicht auch weil – ich es täglich tue, wirkt das Laufen immer zuverlässig. Fast alle Entscheidungen in meinem Leben, ob nun wichtig oder unwichtig, treffe ich laufenderweise. Während meine Füße ihre Arbeit tun philosophiere ich über das Leben, denke über mich nach oder entwickle berufliche Strategien. Es gibt keine Ablenkung, man lässt einfach seine Gedanken fließen. Und wenn alles zu Ende gedacht ist – manchmal nach zehn, manchmal nach 20 Kilometern – setzt die innere Ruhe ein, der Kopf ist frei. Ich bin frei.
Dieses kleine, aber für mich existenzielle Stück Freiheit ist mir in der Krise geblieben und lässt mich durchhalten.
Fußball, Konzerte, Festivals, Kneipenbesuche, Urlaube. Sie sind alle nicht wichtig für das nackte Überleben. Aber sie waren Basis meiner Lebensqualität, meiner Lebensfreude. Wie eingangs erwähnt, verschieben sich die Prioritäten gerade. Am Schlimmsten ist für uns alle mit Sicherheit die Unsicherheit. Wie lange dauert dieser Zustand noch? Helfen all die Einschränkungen? Wie können wir uns und unsere Lieben schützen? Wann wird es einen Impfstoff geben? Wann können wir uns wieder mit Freunden treffen und vor allem: Wann können wir wieder unbeschwert und gefahrenlos Konzerte, Festivals und natürlich Fußballspiele besuchen?
Der Satz „Eigentlich fehlt mir der Fußball gar nicht so sehr“ ist richtig – und zwar im Detail: „nicht so sehr.“ Mein Glubb – natürlich fehlt er mir. Aber mir fehlen auch meine Freunde, meine Unbeschwertheit, spontane Treffen, Umarmungen, Live-Musik. Oder kurz: mein „altes“ Leben.
Aber mal ehrlich: Hadern bringt jetzt nichts! Krisen machen nur Sinn, wenn man daraus lernt. Wenn man etwas Positives daraus zieht. Das kann nur jeder für sich ganz persönlich tun. Ich habe gelernt, wieder in kleineren Dimensionen zu denken, etwas demütiger zu werden. Es muss nicht immer höher, weiter, größer gehen. Es gibt so viele kleine Dinge im Leben, über die ich mich nun viel bewusster freue. Der junge Mann, der mir die Tür aufhält. Ein wunderschöner Sonnenaufgang. Das weiche Abendlicht, das den Alten Kanal noch mystischer und schöner macht. Ein Eichhörnchen, das vor mir über den Weg hüpft. Das Ehepaar, das ich jeden Morgen am Kanal treffe und mich freundlich grüßt. Der wöchentliche Videochat mit meiner Cousine und meinem Lieblingsschwippcousin. Ein spontaner aufmunternder Anruf. Menschen, die mich zum Lachen bringen oder auch sprachlos machen.
Irgendwann haben wir diese Krise überstanden. Es wird weitergehen.
Egal, wann das sein wird.
Das wird ein Fest!